Flut 2021

Helfergeschichte Tobi Schott - Vom Eventmanager zum Krisenmanager

Die Geschichte von Tobi Schott

Ein Auszug aus dem Buch: Flut 2021 - Helfergeschichten von Annett Baumgartner

Ich weiß es noch wie heute. Es war der Freitag nach der Flut, ich stand bei einem Kunden und mir gingen die Bilder nicht mehr aus dem Kopf, die ich in den sozialen Medien gesehen hatte.

Mir kamen sofort die Erinnerungen hoch als ich 2013 mit dem THW im Elbhochwasser im Einsatz war… Doch die Bilder aus dem Ahrtal wirkten auf mich noch viel schlimmer.

Das sah anders aus, ein ganzer Landstrich komplett zerstört, Trümmerhaufen, Müllberge und Schlamm, soweit das Auge reicht.

Und das in unser eigenen Mitte, knapp 200km von unserer Heimat entfernt.

Schnell war klar, wir müssen etwas unternehmen. Die Idee: ein Sprinter, Material sammeln und ab ins Kriesengebiet!

Was daraus bis heute entstanden ist, ist kaum in Worte zu fassen...

Über unseren Eventwerk-Kanal haben wir unseren Ort um Hilfe gebeten, über eine Rundmail den Rodgauer Gewerbeverein eingebunden und per Handy alles koordiniert.

Freitag Abend war ich völlig überwältigt. Unser Hof platzte aus allen Nähten. Es standen sieben Fahrzeuge und sieben Anhänger inklusive Fahrer und Beifahrer bereit, um ins Ahrtal aufzubrechen.

Samstagmorgen ging es los, ohne zu wissen, was uns dort erwarten würde. Koordiniert über die ersten Hilfsgruppen auf Facebook wurden wir an Jörg W. von „Eifel für Eifel“ verwiesen.

Am Telefon sagte er: „Klar, kommt rum, ich hab ne Doppelgarage frei.“ – „Äh Jörg, das wird glaube ich nicht an Platz reichen.“ 

„Eifel für Eifel“ organisierte kurzerhand die Alte Schule als Verteilzentrum und wir hatten unseren ersten Abladepunkt.

Es war ein Empfang voller Tränen, obwohl wir uns noch nie gesehen hatten. Gemeinsam mit den Dorfbewohnern machten wir uns ans Werk und wir luden alles aus.

Aud dem Heimweg waren alle sehr bedrückt, aber doch irgendwie glücklich.

Die Nacht darauf blieb schlaflos. Das war es noch nicht. Der innere Antrieb sagte uns, die brauchen mehr Hilfe.

Also ging es am Sonntag noch mal richtig los. 

Spendenaktion 2.0. Bis zum Abend hatten wir sieben Lkws und Hänger voller Material organisiert, sortiert und verladen.

Dienstag sollte es noch einmal nach Nettersheim gehen. Montag rief mich mein Kumpel Andy an, der einen Baggerbetrieb hat, und informierte sich bei mir über die Lage.

Über den Kontakt eines „Willhelms“ hatte er wohl einen Arbeitseinsatz angeboten bekommen. Er überlegte nicht lange und die Bagger wurden auf die Lkws geladen.

Dienstag ging es los. Abfahrt in aller Früh, da der Tag sehr lang werden würde. Mit dem Konvoi ging es hoch ins Verteilzentrum. 
Bis jetzt hatten wir das eigentliche Flutgebiet noch nicht einmal live gesehen.

Als die Lkws mit Hilfsgütern ausgeladen waren, ging es auf den Heimweg.

Im Auto koordinierten wir uns mit Andy, der mittlerweile in Ahrweiler angekommen war, welche Hilfe er benötigt.

Schnell war klar, dass einige von uns die Autos zurückbringen und dann wieder ins Ahrtal aufbrechen.

Daheim angekommen wurden Arbeitskleidung, Kettensägen, Schippen, Treibstoff und alles, was man so braucht, in die Werkstattwagen geräumt, der Wohnwagen wurde angehängt und es ging ab nach Ahrweiler.

Nach über 1000 Kilometern an diesem Tag kamen wir in der Nacht an, fuhren von der Autobahn ab und dieses Bild werden wir alle nie vergessen...

Im Scheinwerferlicht ein Anblick, der kaum zu glauben war. Überall Müll, überall Schlamm, überall Zerstörung, eine Staubwolke, die kaum zu durchschauen war.

Wir kämpften uns mit dem Gespann durch die Straßen zu unserem Einsatzort. Ein Feuerwehrmann in Badelatschen begrüßte uns und teilte uns einen Wohnwagenstellplatz zu. Mitten im Ort bei einem Fremden auf dem Vorhof! Dass wir dort länger stehen würden, ahnte keiner von uns. 

Am nächsten Morgen öffneten wir die Tür des Wohnwagens und wir konnten unseren Augen nicht trauen.

Es sah noch viel schlimmer aus, als erwartet.

Allein die zerstörte Ahrtor-Brücke war ein Anblick, an den man sich erst gewöhnen musste.

Auf den Straßen, in den Gärten, in den Häusern, überall lag der Schlamm. Meterhoch türmten sich Müll, Möbel, Hausrat, Schwemmgut und einfach alles, was die Flut mitgerissen hatte.

Das Fernsehen konnte das Bild der Zerstörung gar nicht wiedergeben. Der Staub brannte in den Augen und kratzte im Hals.

Man konnte die Flut förmlich im Mund schmecken. Heizöl, Fäkalien, modriges Wasser: ein Geruch, den man so schnell nicht vergisst.

Eine Geräuschkulisse aus Baggern, Traktoren, Lkws und Menschenmassen in Eimerketten.

Dazu kamen noch die Erzählungen der Flutopfer. Keine Kamera der Welt vermochte das einzufangen, was die Helfer und Flutopfer erlebt haben. Viele leiden noch heute an dem Trauma des Erlebten.

Ich werde nie vergessen, wie wir mit unserem Team das von uns mitgebrachte Essen und die Getränke mit allen geteilt haben. Viele brachen in Tränen aus, da sie seit Tagen wenig, jateilweise gar nichts gegessen hatten. Und das mitten in Deutschland, gerade mal 200 km entfernt von unserem Zuhause.

Am Straßenrand stand ein kleiner Pavillon, an dem nach und nach immer mehr Essen und Getränke für die Bevölkerung und die Helfer zu finden war – private Spenden aus ganz Deutschland.

Ein Aufruf in Nettersheim und ein paar Stunden später kamen unsere neuen Freunde mit einer Wagenladung Lebensmittel. Dieser Pavillon wurde im Laufe der Zeit ein wichtiger Standort.

Hier traf man sich zum Essen, zum Trinken, zum Koordinieren der Einsätze, aber auch zur Gemeinschaftspflege. Drei wichtige Fragen reichten, um loszulegen.

Wie heißt du? Wo kommst du her? Was kannst du machen?

Für unser Team ging es ohne große Koordination los. Ab auf die Bagger, an die Kettensägen und mit Werkzeug bewaffnet taten wir das, was notwendig war.

Da wir gut ausgebildete Handwerker, trainierte Baggerfahrer und private Spezialisten aus THW und Feuerwehr waren, hatten wir schnell den notwendigen Dreh raus.

Irgendwie merkten das auch die anderen und schnell waren „Die Rodgauer“ mit im Koordinationsteam.

Unsere Bagger liefen wochenlang und betrieben eine Müllhalde, rissen einsturzgefährdete Bauten ab, schaufelten Hinterhöfe frei und transportierten Material.

Die Kettensägen waren im Dauereinsatz, um Schwemmgut zu zerkleinern, Bäume zu fällen und Holzkonstruktionen zu zerlegen.

Die Stemmhammer glühten bei den Abrissarbeiten.

Unsere Ecke war gut organisiert und der Pavillon wurde irgendwann gegen stabilere Partyzelte mit Palettenboden und Bierzeltgarnituren ausgetauscht.

Aus diesem Eck entstand allmählich die „AHRche e.V.“ mit Dorfbewohnern und Helfern aus ganz Deutschland. Ein Verein für Katastrophenhilfe & Wiederaufbau.

Einige Wochen später, nachdem auf dem Campingplatz ein kleines Camp entstand, hatten wir über den Gewerbeverein Rodgau einen Waschpark organisiert.

Waschmaschinen, Trockner, Elektrik, Wasserleitungen, sogar ein Bautrockner für die Luftfeuchtigkeit wurden nach Ahrweiler geschleppt.

Am Montagetag, mitten im August, unterstützten uns Marco und seine Frau Christiane.

Nach getaner Arbeit trafen wir uns zum Dorffest unter den Pavillons.

An diesem Abend fing es an zu regnen. Gänsehaut und Angst machte sich breit, immer ein Auge auf die Pegelstände und in Gedanken bei der schrecklichen Nacht.

Wir waren nass und haben gefroren... An diesem Abend entstand eine Idee, deren Tragweite uns nicht bewusst war.

Bei der Heimfahrt war Marco still und grübelte. Eine schlaflose Nacht folgte und dann rief er mich an. „Tobi, wir bringen 100 Splitklima-Geräte ins Ahrtal und wärmen damit die Gebäude.“

Ich habe zu Marco gesagt: „Du spinnst, das schaffen wir nie! Weißt du was das kostet und wie viel Arbeit das ist?“ „JA“, sagte er. „Knapp 3500 Euro das Stück und einen Tag Arbeit pro Team.“

Genau diese Antwort wollte ich eigentlich nicht hören. Aber in alter Handwerksmanier schaffen wir erst das Problem und fanden dann die Lösung.

Also Handy raus, Social Media an und ein paar Postings erstellt. Was dann kam war unfassbar… Scheinbar hatten wir mit dem Thema Wärme einen wichtigen Punkt getroffen.

Ein befreundeter Händler organisierte die 100 Anlagen! Die Idee verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Das Telefon stand nicht mehr still. 

Über Nacht programmierten wir eine Homepage, um die Anfragen abzuarbeiten. Etliche Gespräche mit Händlern, Monteuren, Branchenverbänden und Hilfsorganisationen folgten…

Die „AHRche e.V.“ gab uns einen perfekten Standort, von dem aus wir die Eisätze organisieren und abarbeiten konnten.

Also machten wir uns an die Montage der Geräte. Schnell schlossen sich immer mehr Fachfirmen an und entstanden die „KlimAHRtechniker“, eine Truppe, die Wahnsinniges geleistet hat. Jetzt hieß es sieben Tage die Woche „1-Raum-Heizung“.

Das Planungsteam und der Aufwand waren enorm. Ulf schloss sich uns an, wir organisierten ein Büro-Team, die „AHRche“stellte Büro-Container und Lagermöglichkeiten.

Bis Ende Dezember hatten wir durch die vielen Spenden unser Ziel erreicht. 

Fast 1000 Anlagen hatten wir im ganzen Tal montiert. Ja, richtig: Eintausend! Eine Zahl, mit der wir selbst nie gerechnet hatten.

Mitte Februar 2022 haben wir mit knappen 1100 Anlagen die Aktion erfolgreich eingestellt, da die Anfragen der Betroffenen glücklicherweise zurückgehen.

Auch sonst helfen wir als „Die Rodgauer“ im ganzen Tal. Egal, ob es an der Grillstation in Dernau für Franz und sein Team etwas zu erledigen gibt, wir für die „Dachzeltnomaden“ die Stromversorgung geliefert haben oder mit anderen Aktionen den Menschen im Tal beim Wiederaufbau helfen.

Das alles kommt von Herzen. Wir haben im Ahrtal Freunde gefunden und fühlen uns dort richtig wohl. Für uns ist es fast schon eine zweite Heimat geworden…

Tobi Schott

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